Jenseits von Gut und Böse. † 260
Bei einer Wanderung durch die vielen feineren und groberen Moralen, welche bisher auf Erden geherrscht haben oder noch herrschen, fand ich gewisse Züge regelmässig mit einander wiederkehrend und anceinander geknüpft: bis sich mir endlich zwei grundtypen verriethen, und ein Grundunterschied heraussprang. Es giebt Herren-moral und Sklaven-Moral: ich füge sofort hinzu, dass in allen höheren udn gemischteren Culturen auch Versuche der Vermittlungs beider Moralen zum Vorschein kommen, noch ofter des Durcheinander derselben und gegenseitige Missverstehen, ja bisweilen ihr hartes Nebeneinander-sogar im selben Menschen, innerhalb Einer Seele. Die moralischen Werthunterscheidungen sind entweder unter einer herrschenden Art entstanden, welche sich ihres Unterschieds gegen die beherrschte mit Wohlgefühl bewusst wurde-oder unter den Beherrschten, den Sklaven und Abhängigen jeden Grades. Im ersten Falle, wenn die Herrschenden es sind, die den Begriff “gut” bestimmen, sind es die erhabenen stolzen Zustände der Seele, welche als das Auzeichnende und die Rangordnung Bestimmende empfunden weredn.
Der vornehme Mensch trennt die Wesen von sich ab, an denen das Gegentheil solcher gehobener stolzer Zustände zum Ausdruck kommt: er verachtet sie. Man bemerke sofort, dass in dieser ersten Art Moral der Gegensatz “gut” und “schlecht” so viel bedeutet wie “vornehm” und “verächtlich”; der Gegensatz “gut” und “böse” ist andrer Herkunft. Verachtet wird der Feige, der Angstliche, der Kleinliche, der an die enge Nützlichkeit Denkende; ebenso der Misstrauische mit seinem unfreien Blicke, der Sich-Erniedrigende, die Hunde-Art von Mench, welche sich mis-shandeln lässt, der bettelnde Schmeichler, vor Allem der Lügner: es ist ien Grundglaube aller Aristokraten, dass das gemeine Volk Lügnerisch ist. “Wir Wahrhaftigen”-so nannten sich im alten Griechenland die Adeligen. Es liegt auf der Hand, dass die moralischen Wertbezeichnungen überall zuerst auf
Menschen
und erst abgeleitet und spät auf
Handlungen
gelegt worden sind: Weshalb es ein arger Fehlgriff ist, wenn Moral-Historiker von Fragen den Ausgang nehmen wie “Warum ist die mitleidige Handlung gelobt worden?” Die vornehme Art Mensch fühlt sich als werthbestimmend, sie hat nicht nöthig, sich gutheissen zu lassen, sie urtheilt “was mir schädlich ist, das ist an sich schädlich”, sie weiss sich als da, was überhaupt erst Ehre den Dingen verleiht, sie ist
werthschaffend . Alles, was sie an sich kennt, ehrt sie: eine solche Moral ist Selbstverherrlichung. Im Vordergrunde steht das Gefühl der Fülle, der Macht, die überstromen will, das Glück der höhen Spannung, das Bewusstein eines Reichtums, der schenken und abgeben möchte: auch der vornehme Mensch hilft dem Unglücklichen, aber nicht older fast nicht aus Mitleid, sondern mehr aus einem Drang, der der Uberfluss von Macht erzeugt. Der vornehme Mensch ehrt in sich den Mächtigen, auch den, welcher Macht über sich selbst hat, der zu reden und zu schweigen versteht, der mit Lust Strenge und Härte gegen sich übt und Ehrerbietung vor allem Strengen und Harten hat. “Ein hartes Herz legte Wotan mir in die Brust” heisst es in einer alter skandinavischen Saga: so ist es aus der Seele eines stolzen Wikingers heraus mit Recht gedichtet. Eine solche Art Mensch ist eben stolz darauf,
nicht
zum Mitleiden gemacht zu sein: Weshalb der Held der Saga warnend hinzufügt “wer jung schon kein hartes Herz hat, dem wird es niemals hart”. Vornehme und Tapfere, welche so denken, sind am entferntesten von jener Moral, welche gerade im Mitleiden order im Handeln für Andere oder im an sich selbst, der Stolz auf sich selbst, eine Grundfeindshaft und Ironie gegen “Selbstlosigkeit” gehort eben so bestimmt zur vornehmen Moral wie eineleichte Geringschätzung und Vorsicht vor den Mitgefühlen und dem “warmen Herzen”. Die Mächtigen sind es, welche zu ehren
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